Expert Debriefing in der Schaeffler Gruppe

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Die Methode Expert Debriefing dient dazu, das Wissen eines ausscheidenden oder wechselnden Experten der Organisation zu bewahren sowie dem Experten Wertschätzung für seine Leistungen zuteil werden zu lassen (Quelle: COGNEON Leitfaden - Expert Debriefing, s. u.). Hier wird die Anwendung der Methode in einem großen Industrieunternehmen beschrieben, die Fallstudie wurde von Karin Hartmann bereitgestellt.

Hintergrund

Die Schaeffler Gruppe ist ein deutsches Maschinenbauunternehmen mit ca. 66.000 Mitarbeitern, die weltweit an ca. 180 Standorten tätig sind und einem Umsatz von € 8,9 Mrd. (2007) erwirtschaften. Hauptsitz der Schaeffler Gruppe ist Herzogenaurach.

Situations- oder Problembeschreibung

  • Durch die demographische Entwicklung in Deutschland sehen sich viele Unternehmen mit der Situation konfrontiert, dass in den nächsten zehn Jahren langjährige Mitarbeiter in den Ruhestand gehen und damit wichtige Wissens- und Erfahrungsträger im Unternehmen fehlen. Vorruhestandslösungen und der sprichwörtliche „Jugendwahn“ (ich würde hier eher auf den Fachkräftemangel als zweiten Aspekt verweisen; Jugendwahn trifft auf Schaeffler nicht im Speziellen zu) bei der Einstellung neuer Mitarbeiter verstärken diese Entwicklung, die für eine Organisation mehrere unangenehme Effekte mit sich bringt.
  • Die Situation bei Schaeffler ist deutlich anders – nicht der Jugendwahn, sondern der Glorien-Schein der Experten mit jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit, welche auch Führungsaufgaben haben, stellt eine Herausforderung dar (INA). FAG hatte eher das Problem, das 1993 in der Maschinenbaukrise jüngere Mitarbeiter entlassen wurden und heute die Zwischenschicht mit mittellanger * Erfahrung fehlt.
  • Mit den ausscheidenden Erfahrungsträgern steigt die Gefahr, bereits erkannte Fehler noch einmal zu machen bzw. das Rad neu zu erfinden. Es fehlen dann nämlich die Mitarbeiter, die wissen „dass das schon damals nicht funktioniert hat“ bzw. die sich daran erinnern „da hatten wir doch schon mal einen Lösungsansatz“.
  • Ein weiterer unangenehmer Effekt bezieht sich auf die im globalen Wettbewerb immer wichtiger werdenden Innovationen (Deutschland als Innovationsstandort). Langjährige Mitarbeiter mit ihrem Erfahrungsschatz sowie ihrem Prozess-, Fach-, Kunden-, Lieferanten- und Marktwissen sind in der Lage Bekanntes und Neues zu kombinieren und damit einen wichtigen Beitrag zu neuen Produkten und Technologien zu leisten („Innovation braucht Tradition“). Eine Fähigkeit, die unerfahrene Mitarbeiter (noch) nicht haben und die auch nicht durch den Einsatz von Kreativitätsmethoden kompensiert werden kann.

Zweck und Ziele

Zweck der Methode Expert Debriefing bei der Schaeffler Gruppe ist die systematische Wissenssicherung bei ausscheidenden Experten und Wissensträgern durch moderierte Wissenskommunikation und -dokumentation zwischen Experte und Nachfolger(n).

Folgende Ziele wurden durch die Vorgehensweise verfolgt:

  1. Kurzfristiges Ziel ist, dass die Methode Expert Debriefing in den Abteilungen selbstständig angewendet wird.
  2. Langfristiges Ziel ist es im Rahmen der Entwicklung zur Lernenden Organisation Expert Debriefings überflüssig zu machen.

Vorgehensweise

  • Gemeinsam mit der Firma Cogneon wurden in 2005 und 2006 zwei Expert Debriefing Pilotprojekte durchgeführt. In einer anschließenden "Tour im Management" wurden 20 Führungskräfte zur Sinnhaftigkeit der Methode befragt mit dem Ergebnis, die Methode Expert Debriefing in der Organisation verankern zu wollen und dafür eine eigene Stelle für eine Prozessbegleiterin zu schaffen. Zusätzlich wurde die Schaeffler Wissenslandkarte und das Schaeffler Wiki zur Wissensdokumentation sowie der Schaeffler Open Knowledge Space (eine monatliche, 2-stündige Veranstaltung zur Wissenskommunikation von Mensch

zu Mensch) als Ergänzung zu den bestehenden Networks of Competence, zur Wissenskommunikation konzipiert.

  • In Bezug auf die Cogneon Methode Expert Debriefing wurde der Name beibehalten und es wurden folgende Anpassungen und Ergänzungen vorgenommen:
    • Vorbereitung: die Prozessbegleiterin bereitet sich in Bezug auf die Wissensgebiete des Experten mit Hilfe des Intranets vor.
    • Vorgespräch (30-60 Minuten) mit Vorgesetzten und Experten, dabei wird die Methode vorgestellt sowie Rahmenbedingungen und Erwartungen (Wissensbewahrungsziele) geklärt.
    • Job Map aufbauen: ein bis zwei zweistündige Termine, bei dem der Vorgesetzte dabei sein kann, was aber meistens nicht der Fall ist. Im Vorfeld wird den Experten eine Tabelle mit Fragen zur Vorbereitung geschickt. Beim Aufbau der Jobmap erstellen Job Map liegt der Schwerpunkt auf den Aufgaben und Rollen, den Ansprechpartnern und Kontakten sowie Dokumenten und Unterlagen. Wissensgebiete werden im Gegensatz zur Basismethode nicht explizit erhoben. Ein grobes Gerüst kann über Informationen aus dem Intranet als Grundlage aufgebaut werden.
    • 360-Grad-Gespräche führen: die 360-Grad-Gespräche werden in Form von Einzelgesprächen mit vier bis fünf Personen geführt. Die Auswahl erfolgt über den Experten ("mit diesen Personen sollten Sie mal reden"). Im Vorfeld der 360-Grad-Gespräche wird den Gesprächsteilnehmern ein vorgefertigter Fragebogen geschickt. In einigen Fällen wird wegen zu langer Wege auch schriftlich befragt (ist eher die Ausnahme).
    • Brainstorming WBM durchführen: die Wissensbewahrungsmaßnahmen durchführen Wissensbewahrungsmaßnahmen (WBM) werden direkt in der Job Map und nicht in einem separaten Excel-Dokument gepflegt.
    • Wissensbewahrungsmaßnahmen durchführen: das Schaeffler Wiki wird zum Teil im Rahmen der Expert Debriefings für die Wissensdokumentation verwendet, allerdings noch nicht flächendeckend (Gründe sind z.B. Berührungsängste, Motivation und Geheimhaltung). In einem Expert Debriefing gab es den Versuch mit einem "abgeschirmten" Wiki, auf das nur vier Personen Zugriff hatten. Die Inhalte stammten aus einer Schulung, die der Experte gegeben hatte, ein Netzwerk of Competence (NoC) zum Wissensgebiet wurde zusätzlich aufgebaut. NoC und Themenwiki konnten jedoch nicht richtig "zum Leben erweckt" werden. Methoden aus dem Leitfaden (z.B. Video, Podcast) werden kaum oder nur implizit verwendet, da der Nutzen fraglich ist.
    • Expert Debriefing Light: Verkürzte Variante der Methode, angewendet bei Stellenwechsel oder Kündigung bestehend aus einem ca. 2-stündigen Termin zur Erstellung der Job Map als Übergabedokument für den Nachfolger. Die Wissensbewahrungsmaßnahmen werden von den Betroffenen in Eigenregie durchgeführt.
    • Führungswechsel: zusätzlich zum Expert Debriefing erhalten der Vorgänger und Nachfolger bei einem Führungswechsel einen Gesprächsleitfaden mit Fragen zu relevanten Themen einer Führungskraft zur Unterstützung eines 4-Augen-Gesprächs, welches nicht durch einen Prozessbegleiter begleitet wird.

Zusammen mit dem Geschäftsleiter Personal wurde die Methode Expert Debriefing im Personalprozess verankert. Es erfolgt eine vierteljährliche Meldung über die Personalreferatsleiter mit einer Liste von Personen, die in den nächsten zwei Jahren ausscheiden. Die Expert Debriefing Prozessbegleiterin geht dann auf den Vorgesetzten zu und informiert über die Methode. Die Führungskraft entscheidet über den Unterstützungsbedarf und den Zeitpunkt der Durchführung der Methode. Hierfür wird ein Expert Debriefing Kalender (Excel-Sheet) mit den Expert Debriefings der nächsten zwei Jahre geführt, der zusätzlich der groben Erfassung der zeitlichen Aufwände in den einzelnen Expert Debriefings dient sowie stattgefundene Gespräche dokumentiert.

Im Zuge erster Schritte zum selbständigen Handeln in den Landesgesellschaften wurde Anfang 2008 die Methode in USA durchgeführt und zwei Prozessbegleiter vor Ort ausgebildet. Der Prozess der Experten-identifikation in USA ist schwieriger, da die Kündigungsfrist nur zwei Wochen beträgt. Zusätzlich sind Fragen wie "Wann gehen Sie?", "Wann scheiden Sie aus?" sowie 360° Gespräche über abwesende Kollegen an sich dort eher unüblich.

Ergebnisse

  • Die Pilot Expert Debriefings eingeschlossen wurden bisher 17 Expert Debriefings light (bei internem Wechsel oder Kündigung) und 22 Expert Debriefings seit März 2007 durchgeführt. Die Methode wurde mit unterschiedlichen Arten von Experten durchgeführt: Spezialisten, Sachbearbeiter, Führungskräfte in Funktionen wie Einkauf, Entwicklung, Werksanlagenplanung und IT. Die meisten Expert Debriefings wurden an den Hauptstandorten der drei Mitglieder der Schaeffler Gruppe INA (Herzogenaurach), FAG (Schweinfurt) und LuK (Bühl) durchgeführt. Inzwischen existieren Vorlagen für Expertenvorbereitung, 360-Grad-Gespräch, Führungswechsel-Gesprächsleitfaden.
  • Das gesamte Informationsmaterial zur angebotenen Methode ist im Intranet abrufbar, damit sich Interessenten über das Angebot und die Vorgehensweise informieren können.
  • Expert Debriefing ist im integrierten Ansatz der Personalentwicklung enthalten und damit integraler Bestandteil der Geschäftsprozesse, die eigene Einheit Expert-Debriefing ist im Organisationsplan aufgeführt.
  • Mittlerweile hat die Methode einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht und Vorgesetzte oder sogar die Experten selbst melden das Ausscheiden oder Wechseln direkt.

Lessons Learned

  • Vor der formalen Planung von ersten Interviews ist festzustellen, ob der ausgewählte Kandidat auch tatsächlich zu de-briefendes Wissen besitzt, d.h. nicht jeder Geschäftsführer ist auch automatisch ein Experte, nicht jeder Maschinen-Führer ist von vornherein auszuschließen! Expertenwissen hat nichts mit der Hierarchie-Stufe zu tun
  • Im Idealfall ist bereits ein Nachfolger oder sind mehrere Tätigkeitsnachfolger vorhanden und es besteht ein Zeitraum zur Einarbeitung durch den Experten.
  • Die Wertschätzung des Experten durch das Debriefing / den Prozesbegleiter ist ein wesentlicher Aspekt und wirkt sich positiv auf die Offenheit des Experten und die Motivation zur Wissensweitergabe aus.
  • Der Kandidat sollte idealerweise noch im Job fest verankert sein.
  • Gefühle des Experten sind vorweg zu identifizieren und zu akzeptieren: "Ich habe das Gefühl, Ihr plant hier meine Beerdigung!"
  • Jedes Expert Debriefing verläuft unterschiedlich und sollte individuell auf die Bedürfnisse und Wünsche des Experten / der Beteiligten abgestimmt werden. (Wenn der Kandidat keine 360º Gespräche wünscht, selber dabei oder auch nicht dabei sein will, so ist dies zu berücksichtigen.)

Ausblick

Für die Zukunft sind folgende nächste Schritte geplant:

  • Erstellung eines Konzepts für Ausbildung von Prozessbegleitern. Unklar ist, wie viele Mitarbeiter von den Fachabteilungen dafür benannt werden.
  • Optimierung des Experten-Auswahlprozesses (oft werden Mitarbeiter hoher Hierarchien als Experten genannt, gewerbliche Mitarbeiter wurden bisher nicht rückgemeldet).
  • Etablierung des Schaeffler Wiki als Standard-Wissenbewahrungs-Maßnahme für das Zusammenhangswissen der Experten. Eigenständige Artikel-Erstellung und –Weiterentwicklung durch den Experten/Nachfolger/Fachbereich

Weiterführende Materialien

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Siehe auch

COGNEON Leitfaden - Expert Debriefing Geschichte der Cogneon Methode Expert Debriefing

Weblinks