Gkc25/Zwischen Engagement und Chaos - Wissensmanagement in ehrenamtlichen Strukturen
Diese Session behandelt die Herausforderungen des Wissensmanagements im ehrenamtlichen Kontext am Beispiel eines Kreisverbands der Grünen. Die Referentin schildert typische Probleme wie zu viele Kommunikationskanäle, mangelndes Onboarding neuer Mitglieder, fehlende Strukturen bei Funktionswechseln und die Schwierigkeit, Ehrenamtliche zur aktiven Teilnahme zu motivieren. Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurden praktische Lösungsansätze entwickelt, darunter die Erstellung von Wissenslandkarten, die Einführung eines Digest-Systems zur Informationsbündelung und die Etablierung strukturierter Onboarding- und Offboarding-Prozesse. Ein zentrales Thema war dabei, mit kleinen, umsetzbaren Schritten zu beginnen und die Betroffenen zu Beteiligten zu machen.
Hauptthemen der Präsentation:
- Ausgangssituation und Herausforderungen im ehrenamtlichen Wissensmanagement
- Strukturierung des Vorgehens: Scope, Core Team und Zielsetzung
- Wissens- und Tool-Landkarten als Grundlage
- Kommunikationskanäle optimieren: Push vs. Pull
- Onboarding und Offboarding systematisieren
- Laterale Führung und partizipative Ansätze im Ehrenamt
- Konkrete Startpunkte und Quick Wins
Ausgangssituation und Herausforderungen im ehrenamtlichen Wissensmanagement
Die Referentin ist seit Mai Mitglied bei den Grünen und Beisitzerin im Vorstand ihres Kreisverbands in Brandenburg. Sie engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung, die sich mit Wissensmanagement und der besseren Nutzung interner Tools beschäftigt. Der Kreisverband nutzt das sogenannte “grüne Netz”, eine Plattform basierend auf Nextcloud, sowie Tools für Anträge und Abstimmungen. Die Hauptkommunikation läuft über E-Mails und Signal-Gruppen.
Ein zentrales Problem ist die Informationsflut durch zu viele parallele Kommunikationskanäle. Teilweise erhalten Mitglieder 50 Nachrichten pro Tag in verschiedenen Chats, in denen Studien, Links und Artikel geteilt werden. Gleichzeitig gibt es Newsletter auf unterschiedlichen Ebenen (Kreis, Land, Bund), die häufig nicht gelesen werden. Die Referentin berichtet von einem unstrukturierten Diskussionschat, in dem thematisch alles vermischt wird.
Die Herausforderungen im ehrenamtlichen Kontext unterscheiden sich deutlich von denen in Unternehmen. Die Diversität der Mitglieder ist enorm: Unterschiedliche Altersstrukturen, verschiedene technische Vorkenntnisse und völlig unterschiedliche berufliche Hintergründe erschweren einen einheitlichen Ansatz. Viele ältere Mitglieder sind nicht digital unterwegs und bevorzugen den direkten persönlichen Austausch. Gleichzeitig möchte man auch Interessierte einbinden, die noch nicht Mitglied sind, was Fragen der Zugangssicherheit aufwirft.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Aktivierung der Mitgliederbasis. Bei einem Kreisverband mit etwa 400 Mitgliedern ist nur ein kleiner Teil tatsächlich aktiv. Ein konkretes Beispiel verdeutlichte dies: Ein Herbstfest wurde mehrfach über Newsletter kommuniziert und im gemeinsamen Kalender eingetragen, dennoch gab es nur wenige Anmeldungen. Einige Mitglieder bestätigten, die E-Mails gar nicht zu lesen.
Die Schwierigkeit, Mitglieder zur Nutzung vorhandener Tools zu bewegen, wird durch technische Hürden verschärft. Das grüne Netz erfordert einen Login mit Zwei-Faktor-Authentifizierung, was für nicht technikaffine Personen eine zusätzliche Barriere darstellt. Menschen ohne berufliche Vorerfahrung mit solchen Systemen müssen erst befähigt werden, diese zu nutzen.
Strukturierung des Vorgehens: Scope, Core Team und Zielsetzung
Ein wesentlicher Ratschlag aus der Diskussion war, zunächst den Umfang (Scope) klar zu definieren. Anstatt das gesamte komplexe Konstrukt von Bundesverband über Landesverband bis zu verschiedenen Arbeitsgemeinschaften gleichzeitig anzugehen, sollte man mit dem beginnen, was man tatsächlich beeinflussen kann: dem eigenen Kreisverband. Andere Ebenen können zunächst ausgeblendet werden, auch wenn dort ebenfalls Baustellen existieren.
Ein häufiger Fehler beim Wissensmanagement ist es, sofort auf konkrete Maßnahmen zu springen – etwa die Einführung eines Wikis – ohne vorher die Ziele klar zu definieren. Stattdessen sollte zunächst ein gemeinsames Verständnis entwickelt werden: Was verstehen wir unter Wissensmanagement? Was soll konkret besser werden? Diese grundlegende Klärung ist entscheidend, auch wenn sie weniger spektakulär erscheint als die Einführung neuer Tools.
Die Bildung eines Core Teams ist unverzichtbar. Wissensmanagement kann niemand allein umsetzen. Es braucht drei bis vier Personen, die regelmäßig zusammenkommen und gemeinsam an dem Thema arbeiten. Dieses Team sollte idealerweise sowohl Ehrenamtliche als auch – sofern vorhanden – Personen aus der Geschäftsstelle umfassen. Wichtig ist, dass die Mitglieder intrinsisch motiviert sind und ein echtes Interesse am Thema haben.
Das Core Team sollte sich ausreichend Zeit nehmen, beispielsweise einen ganzen Tag, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Dabei geht es nicht nur um die Definition von Wissensmanagement, sondern auch darum, das “Wozu” zu klären. Wissensmanagement ist kein Selbstzweck, sondern dient übergeordneten Zielen: Mitglieder befähigen, Kommunikation verbessern, Prozesse dokumentieren, Onboarding und Offboarding strukturieren. Diese Ziele sollten schriftlich festgehalten und eventuell dem Vorstand zur Abstimmung vorgelegt werden.
Ein partizipativer Ansatz ist im Ehrenamt besonders wichtig. Anders als in Unternehmen kann man nicht einfach Anweisungen von oben durchsetzen. Wie das Zitat von Peter Drucker besagt: “In der Wissensgesellschaft ist jeder ein Freiwilliger.” Dies gilt auch für Unternehmen, aber noch mehr für ehrenamtliche Strukturen. Die Betroffenen müssen zu Beteiligten gemacht werden. Es gilt, die Ehrenamtlichen abzuholen, ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie in die Lösungsentwicklung einzubeziehen.
Das Konzept der “15% Solutions” aus den Liberating Structures bietet einen praktischen Ansatz: Was kann man mit 15% Aufwand umsetzen, ohne nach Ressourcen oder Erlaubnis zu fragen? Manchmal ist es besser, sich einmal zu entschuldigen, als ständig um Erlaubnis zu bitten. Dieser Ansatz ermöglicht es, einfach anzufangen und erste Ergebnisse vorzuweisen, anstatt in endlosen Planungsschleifen stecken zu bleiben.
Wissens- und Tool-Landkarten als Grundlage
Bevor man neue Strukturen schafft oder Tools einführt, ist es sinnvoll, zunächst eine Bestandsaufnahme zu machen. Dies umfasst zwei wesentliche Aspekte: eine Wissenslandkarte und eine Tool-Landschaft.
Die Wissenslandkarte dient dazu, zu kartografieren, über welches Wissen überhaupt gesprochen wird. Ein praktisches Beispiel aus der Arbeit mit dem ADFC zeigt die Bandbreite: Das Wissen reichte dort vom Aufbau eines Infostands auf einem Wochenmarkt über verkehrspolitische Themen und Radtouristik bis hin zu vereinsinternen administrativen Prozessen. Diese Kartografierung hilft, die Vielfalt der Wissensdomänen zu erfassen und zu strukturieren.
Im politischen Kontext könnte eine solche Wissenslandkarte umfassen: Wie organisiert man Veranstaltungen? Wie führt man Wahlkampf? Welche politischen Positionen gibt es zu welchen Themen? Wie funktionieren die organisatorischen Strukturen? Wie arbeitet man gemeinsam an Dokumenten? Diese Übersicht schafft Transparenz darüber, welches Wissen im Kreisverband vorhanden ist, geteilt werden sollte oder fehlt.
Parallel dazu sollte eine Tool-Landschaft erstellt werden. Welche Kommunikationskanäle und Werkzeuge werden aktuell genutzt? Dies umfasst E-Mail-Verteiler, Signal-Gruppen, das grüne Netz mit seiner Nextcloud-Funktionalität, Kalender, Kanban-Boards, Dateiablagen und weitere Tools. Wichtig ist dabei auch zu erfassen, welche informellen oder nicht offiziell vorgesehenen Tools genutzt werden – wie im Beispiel der Dropbox eines Vorstandsmitglieds für den Bundestagswahlkampf.
Der entscheidende dritte Schritt besteht darin, Wissenslandkarte und Tool-Landschaft in Beziehung zu setzen. Welche Kanäle sollen wofür genutzt werden und wofür nicht? Diese Zuordnung hilft, den Wildwuchs zu reduzieren. Wenn klar definiert ist, dass beispielsweise wichtige Termine ausschließlich im gemeinsamen Kalender kommuniziert werden, Diskussionen zu bestimmten Themen in festgelegten Signal-Gruppen stattfinden und Dokumente ausschließlich in der Nextcloud abgelegt werden, schafft das Orientierung.
Bei der Tool-Erhebung sollte auch geprüft werden, wo Redundanzen existieren, die beseitigt werden können, und wo möglicherweise noch Lücken bestehen. Gleichzeitig muss die Datenschutzkonformität berücksichtigt werden, was im politischen Bereich besonders wichtig ist. Signal erfüllt beispielsweise hohe Datenschutzstandards, während andere Messenger problematisch sein können.
Ein ergänzender Ansatz ist die jahreszyklusbasierte Wissenslandkarte. Dabei wird der Jahresablauf visualisiert und eingetragen, welche wiederkehrenden Ereignisse und zugehörigen Wissensdokumente wann relevant werden: Mitgliederversammlungen, Vorstandswahlen, Herbstfeste, Wahlkampfphasen. Diese chronologische Darstellung macht deutlich, dass viele Prozesse zyklisch wiederkehren und einmal dokumentiert werden können, statt jedes Mal neu erfunden zu werden.
Kommunikationskanäle optimieren: Push vs. Pull
Ein zentrales Problem im Wissensmanagement ist die Unterscheidung zwischen Push- und Pull-Kommunikation. Push bedeutet, dass Informationen aktiv an die Empfänger geschickt werden (E-Mails, Nachrichten in Chatgruppen). Pull bedeutet, dass Informationen bereitstehen und bei Bedarf abgerufen werden können (Wiki, schwarzes Brett, Dateiablage).
Die Informationsflut entsteht vor allem durch zu viel Push-Kommunikation. Wenn täglich zahlreiche E-Mails und Dutzende Chat-Nachrichten eingehen, führt das zu Überforderung und dazu, dass wichtige Informationen in der Masse untergehen. Die Reaktion vieler Mitglieder ist dann, E-Mails ungelesen zu löschen oder Chatgruppen stumm zu schalten.
Die Lösung liegt in einer klaren Differenzierung: Was muss wirklich gepusht werden, weil es zeitkritisch oder für alle wichtig ist? Und was kann als Pull-Information bereitgestellt werden, sodass Interessierte es sich bei Bedarf abholen können? Das Pushen sollte auf ein Minimum reduziert werden, damit die wenigen gepushten Informationen tatsächlich Aufmerksamkeit bekommen.
Ein innovativer Ansatz aus der Diskussion war das Konzept eines Digests oder Knowledge-Hubs. Dabei übernimmt eine Person oder wechseln sich mehrere Personen ab (ähnlich dem Konzept der Themenpatinnen), um alle relevanten Kanäle zu monitoren. Diese Person filtert die Informationen und erstellt einmal wöchentlich oder monatlich eine Zusammenfassung der wichtigsten Neuigkeiten und Entwicklungen.
Dieser Digest bietet einen doppelten Nutzen: Mitglieder, die nur diese eine Informationsquelle nutzen möchten, bekommen dennoch alle wichtigen Informationen. Und selbst diejenigen, die weiterhin alle Kanäle selbst verfolgen, können den Digest als Sicherheitsnetz nutzen, um nichts Wichtiges zu übersehen. Dies entlastet besonders neue Mitglieder oder zeitlich stark eingebundene Ehrenamtliche.
Für die Pull-Kommunikation könnte ein zentrales Einfallstor geschaffen werden – im einfachsten Fall sogar nur ein Dokument mit Links zu den wichtigsten Ressourcen. Ein Dashboard oder Board mit Quick Links könnte folgende Elemente enthalten: Wo finde ich Termine? Wo finde ich die neuesten Protokolle? Wo sind Vorlagen für häufige Aufgaben? Wo finde ich Ansprechpartner für verschiedene Themen? Wo kann ich mich zu aktuellen Diskussionen einbringen?
Die Referentin berichtete von einem praktischen Beispiel: Bei der letzten Kreismitgliederversammlung wurde das Protokoll gemeinsam während der Veranstaltung geschrieben. Dadurch war es bereits am nächsten Tag fertig statt erst nach drei Wochen. Dies entlastete den Geschäftsführer und zeigte gleichzeitig die Möglichkeiten kollaborativen Arbeitens. Solche Quick Wins sind wichtig, um den Mehrwert neuer Arbeitsweisen zu demonstrieren.
Ein weiterer Aspekt der Kanaloptimierung ist die Schulung der Mitglieder. Viele kennen die vorhandenen Tools nicht oder wissen nicht, wie sie diese nutzen können. Die AG Digitalisierung plant daher Schulungstermine und die Bereitstellung von Tech Buddies – erfahrene Mitglieder, die anderen bei technischen Fragen helfen. Dieses Peer-to-Peer-Lernen ist oft effektiver als formale Schulungen.
Onboarding und Offboarding systematisieren
Das Onboarding neuer Mitglieder ist eine kritische Phase, in der häufig viel schiefgeht. Die Referentin berichtete von ihrer eigenen Erfahrung: Nach der Mitgliedschaft erhielt sie lediglich eine automatisierte E-Mail mit einigen Links und Videos zu den Parteistrukturen. Eine persönliche Kontaktaufnahme fand nicht statt. Sie musste sich alles selbst erarbeiten und fühlte sich nicht wirklich abgeholt.
Ein schlechtes Onboarding führt im schlimmsten Fall direkt zum Offboarding – neue Mitglieder verlieren schnell das Interesse und werden nie aktiv. Ein strukturierter Onboarding-Prozess sollte mehrere Elemente umfassen: Eine persönliche Begrüßung, idealerweise durch ein Gespräch oder zumindest einen persönlichen Anruf. Informationen zu den Strukturen und Möglichkeiten der Mitwirkung. Die Vorstellung der wichtigsten Kommunikationskanäle und Tools. Und besonders wichtig: die Abfrage von Interessen, Kompetenzen und Erwartungen.
Letzteres ist entscheidend, um Mitglieder dort einzusetzen, wo sie ihre Stärken einbringen können. Jeder kommt mit unterschiedlichen Fähigkeiten: Manche sind geborene Moderatoren, andere excellente Netzwerker, wieder andere haben spezifisches Fachwissen aus ihrem Beruf. Die Frage ist, wie man ohne aufwändige Kompetenzmatrizen herausfindet, wer was gut kann und gerne macht.
Ein partizipativer Ansatz ist hier vielversprechend: Aufgaben transparent machen, beispielsweise über ein Kanban-Board, und dann fragen, wer Interesse hat. Es geht nicht primär darum, wer etwas kann, sondern wer etwas tun möchte. Menschen, die freiwillig eine Aufgabe übernehmen, machen diese in der Regel auch gut. Wenn jemand eine Aufgabe übernimmt, für die noch Expertise fehlt, kann ein Mentor zur Seite gestellt werden.
Das Konzept des Ehrenamtslebenszyklus aus dem Sportbereich bietet einen hilfreichen Rahmen. Dieser Zyklus beschreibt die Phasen von Interesse über Einstieg, Entwicklung bis zur Beendigung des Ehrenamts. Für jede Phase können spezifische Wissensbedarfe und Unterstützungsangebote definiert werden.
Noch kritischer als das Onboarding ist häufig das Offboarding, insbesondere von Funktionsträgern. Wenn jemand nach Jahren als Vorstandsmitglied ausscheidet, geht oft enormes Wissen verloren. Die Nachfolger müssen vieles neu erfinden, weil Prozesse, Kontakte und Erfahrungen nicht dokumentiert oder übergeben wurden. Dies wirkt sich auch auf den Wildwuchs an Kommunikationskanälen aus: Neue Funktionsträger wissen vielleicht nicht, dass bestimmte Kanäle existieren, und richten einfach neue ein.
Ein professionelles Offboarding sollte systematisch sein: Zunächst sollte für jede Funktion ein Aufgabenprofil existieren, das unabhängig von der Person beschreibt, welche Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten damit verbunden sind. Bei einem Funktionswechsel sollte dann ein strukturiertes Übergabegespräch stattfinden, idealerweise moderiert von einer neutralen dritten Person. Der scheidende Funktionsträger sollte einen Übergabebericht erstellen, der nicht nur aufzählt, was getan wurde, sondern auch offene Themen, wichtige Kontakte und Lessons Learned dokumentiert.
KI kann hier unterstützen: Wenn über Jahre Vorstandsberichte entstanden sind, können diese von KI zusammengefasst werden, sodass Nachfolger nicht zehn einzelne Berichte lesen müssen, sondern eine konsolidierte Übersicht erhalten – mit der Möglichkeit, bei Bedarf in Details einzutauchen.
Ein wichtiger Grundsatz: Onboarding und Offboarding sollten als selbstverständlicher Prozess etabliert werden, nicht als optionales Angebot. Wenn jemand eine Funktion übernimmt oder verlässt, wird automatisch ein strukturiertes Gespräch angeboten und durchgeführt. Dies sollte Teil der Organisationskultur werden.
Laterale Führung und partizipative Ansätze im Ehrenamt
Im Ehrenamt fehlen klassische Führungsstrukturen und Durchgriffsrechte. Niemand kann anweisen, dass bestimmte Dinge auf eine bestimmte Weise gemacht werden müssen. Dies erfordert andere Führungsansätze, insbesondere das Konzept der lateralen Führung.
Laterale Führung nach Stefan Kühl aus Bielefeld bedeutet, dass Menschen auch ohne formales Mandat in bestimmten Situationen Führung übernehmen können. Dies geschieht beispielsweise durch Moderation von Meetings, Einbringen und Vertreten von Themen, Schreiben von Protokollen oder Koordination von Aktivitäten. Diese Form der “beiläufigen Führung” ist in ehrenamtlichen und projektbasierten Strukturen oft effektiver als hierarchische Ansätze.
Das Konzept der 15%-Lösungen passt gut zu lateraler Führung: Was kann ich selbst anstoßen und umsetzen, ohne umfassende Mandate oder Ressourcen einfordern zu müssen? Oft ist es besser, einfach anzufangen und Ergebnisse zu zeigen, als endlos auf Genehmigungen zu warten.
Partizipation ist im Ehrenamt nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Menschen opfern ihre Freizeit und möchten Dinge tun, die sie wirklich interessieren – nicht das, was sie beruflich ohnehin tun müssen. Ein partizipativer Ansatz führt zwar vielleicht zur drittbesten technischen Lösung, aber wenn diese von allen mitgetragen wird, ist sie praktisch erfolgreicher als die theoretisch beste Lösung, die niemand nutzt.
Die Perspektive der Ehrenamtlichen sollte konsequent eingenommen werden: Welchen konkreten Nutzen haben sie von Veränderungen? Welche Schmerzen oder Probleme werden gelöst? Dies muss klar adressiert werden. Es reicht nicht, von oben zu verkünden, dass jetzt Wissensmanagement gemacht wird. Stattdessen muss gezeigt werden, wie dies den Ehrenamtlichen das Leben leichter macht: schnellere Einarbeitung, weniger Informationsflut, einfacherer Zugang zu benötigtem Wissen, klarere Strukturen.
Ein praktischer Ansatz ist die Bildung von Arbeitsgruppen zu spezifischen Themen, in denen Interessierte sich einbringen können. Die AG Digitalisierung im Kreisverband der Referentin ist ein Beispiel dafür. Wichtig ist, dass solche Gruppen regelmäßig zusammenkommen – auch wenn es nur einmal monatlich ist – und konkrete Ergebnisse erarbeiten.
Die Rolle von Coaches oder Mentoren kann hilfreich sein. Jeder in einer neuen Funktion profitiert von Begleitung durch jemanden mit Erfahrung. Dies gilt auch für Wissensmanager im Ehrenamt. Das Angebot des wöchentlichen Learning Circles der GFWM wurde als wertvolle Ressource genannt: Ein Format auf Augenhöhe, in dem man mit jedem Thema, das auch nur im Ansatz mit Wissensmanagement zu tun hat, vorbeikommen kann und Perspektiven sowie Expertise von Menschen erhält, die man im normalen Leben nicht kennen würde.
Kleine Aufgabenpakete, die gut zu schaffen sind, sollten klar vergeben werden. Nach Abschluss ist ein Lob oder konstruktives Feedback wichtig. Menschen müssen sehen, dass sich etwas bewegt und ihre Beiträge wertgeschätzt werden. Dies motiviert zur weiteren Mitarbeit.
Konkrete Startpunkte und Quick Wins
Am Ende der Session wurden konkrete Startpunkte für die Umsetzung gesammelt und priorisiert. Diese bilden einen praktischen Fahrplan für den Einstieg ins Wissensmanagement:
Als erstes sollte der Scope klar definiert werden: Wo wollen wir Wissensmanagement machen? Die Empfehlung ist, mit dem eigenen Kreisverband anzufangen und nicht zu versuchen, gleichzeitig alle Ebenen zu adressieren. Dies schafft einen überschaubaren Rahmen, in dem tatsächlich Einfluss genommen werden kann.
Die Bildung eines Core Teams ist der zweite Schritt. Drei bis vier motivierte Personen, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam an dem Thema arbeiten, sind die Grundlage. Dieses Team sollte aus Menschen bestehen, die intrinsisch motiviert sind und verschiedene Perspektiven einbringen.
Die Zieldefinition ist entscheidend: Was soll konkret besser werden? Dies sollte schriftlich festgehalten werden, idealerweise in einem kurzen Paper, das auch dem Vorstand vorgelegt werden kann. Die Ziele sollten messbar sein, damit nach einem Jahr überprüft werden kann, was erreicht wurde.
Die Erhebung der Pain Points schafft Klarheit über die aktuellen Probleme. Wo hakt es konkret? Was stört die Mitglieder? Welche Prozesse funktionieren nicht gut? Diese Schmerzpunkte – oder besser: Wachstumspunkte – zeigen, wo Verbesserungen den größten Nutzen bringen.
Die Erstellung einer Wissenslandkarte hilft zu verstehen, über welche Art von Wissen überhaupt gesprochen wird. Welche Wissensdomänen gibt es? Was sollte dokumentiert und geteilt werden? Dies kann als Workshop mit dem Core Team erfolgen.
Parallel dazu sollte die Tool-Landschaft erfasst werden: Welche Kommunikationskanäle und Werkzeuge werden aktuell genutzt? Auch informelle und nicht offizielle Tools sollten erfasst werden. Als Orientierung kann der Artikel von Simon Dückert im aktuellen GFWM-Dossier dienen, der eine Input-Verwendung-Output-Struktur vorschlägt.
Der jahreszyklusbasierte Ansatz bietet einen pragmatischen Einstieg: Einmal durchs Jahr gehen und überlegen, welche wiederkehrenden Ereignisse stattfinden und welche Wissensdokumente dafür relevant sind. Dies macht schnell deutlich, wo Dokumentationslücken bestehen.
Quick Wins sind wichtig für die Motivation: Welche kleinen Verbesserungen können schnell umgesetzt werden? Das gemeinsame Schreiben eines Protokolls während der Veranstaltung war ein solcher Quick Win. Ein weiterer könnte die Einrichtung eines einfachen Dashboards mit Links zu den wichtigsten Ressourcen sein.
Das Digest-System wurde als besonders vielversprechend bewertet: Eine Person übernimmt als Themenpatin das Monitoring aller relevanten Kanäle und erstellt einmal wöchentlich oder monatlich eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen. Dies reduziert die Informationsflut für alle anderen erheblich.
Die Differenzierung zwischen Push- und Pull-Kommunikation sollte geklärt werden: Was muss aktiv kommuniziert werden, und was kann bereitgestellt werden, damit es bei Bedarf abgerufen werden kann? Dies sollte in Abstimmung mit den Mitgliedern erfolgen, um ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen.
KI kann an verschiedenen Stellen unterstützen: Bei der Zusammenfassung alter Berichte, bei der Überprüfung erarbeiteter Konzepte auf Lücken, bei der Priorisierung von Maßnahmen. Der Dialog mit KI kann helfen, blinde Flecken zu identifizieren.
Die Einführung eines Kanban-Boards zur Aufgabentransparenz wurde als nächster Schritt genannt. Darauf können To-Dos festgehalten, ihre Wichtigkeit markiert und Verantwortlichkeiten geklärt werden. Dies macht auch für neue Mitglieder sichtbar, wo sie sich einbringen könnten.
Fazit und Ausblick
Wissensmanagement im ehrenamtlichen Kontext stellt besondere Herausforderungen, bietet aber auch große Chancen. Die Vielfalt der Mitglieder, fehlende Hierarchien und begrenzte zeitliche Ressourcen erfordern andere Ansätze als im Unternehmenskontext. Gleichzeitig ist die intrinsische Motivation der Ehrenamtlichen ein großer Vorteil, wenn es gelingt, sie abzuholen und zu beteiligen.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, nicht zu versuchen, alles auf einmal zu lösen, sondern mit kleinen, überschaubaren Schritten zu beginnen. Das Bild vom Elefantenessen wurde verwendet: Viele kleine Salamischeiben statt des Versuchs, den ganzen Elefanten auf einmal zu bewältigen. Scope definieren, Core Team bilden, Ziele klären, Bestandsaufnahme machen und dann Schritt für Schritt vorgehen.
Besonders wichtig ist die partizipative Herangehensweise. Die Betroffenen müssen zu Beteiligten gemacht werden. Es geht nicht darum, eine perfekte Lösung zu entwickeln und diese dann durchzusetzen, sondern gemeinsam mit den Ehrenamtlichen herauszufinden, was ihre Bedürfnisse sind und wie Prozesse verbessert werden können. Die drittbeste Lösung, die von allen mitgetragen wird, ist besser als die theoretisch beste Lösung, die niemand nutzt.
Die Unterscheidung zwischen Push- und Pull-Kommunikation ist zentral für die Bewältigung der Informationsflut. Nicht alles muss aktiv an alle verteilt werden. Vielmehr sollte überlegt werden, welche Informationen bereitgestellt werden können, damit Interessierte sie bei Bedarf abrufen können. Das Digest-Konzept bietet einen praktischen Mittelweg.
Systematisches Onboarding und Offboarding sind kritische Erfolgsfaktoren, die oft vernachlässigt werden. Gerade beim Wechsel von Funktionsträgern geht häufig wertvolles Wissen verloren, das mühsam neu aufgebaut werden muss. Hier können bereits einfache Strukturen wie Übergabegespräche und -dokumente große Wirkung entfalten.
Offene Fragen, die in der Session identifiziert wurden, umfassen: Wie gewinnt man die Menschen im Vorstand für das Thema, die bisher eher skeptisch sind und keine zusätzliche Arbeit sehen möchten? Wie findet man die Balance zwischen dem Wunsch nach umfassenden Verbesserungen und den begrenzten Kapazitäten im Ehrenamt? Wie kann man sicherstellen, dass neue Strukturen und Tools tatsächlich genutzt werden und nicht nur zusätzlicher Ballast werden?
Handlungsempfehlungen:
- Beginne mit der Definition eines klaren Scopes – fokussiere dich zunächst auf den eigenen Kreisverband statt zu versuchen, alle Ebenen gleichzeitig zu adressieren
- Bilde ein Core Team von drei bis vier intrinsisch motivierten Personen, die regelmäßig zusammenarbeiten
- Nimm dir ausreichend Zeit für die Zieldefinition – kläre das “Wozu” des Wissensmanagements schriftlich
- Erstelle eine Wissenslandkarte und eine Tool-Landschaft als Grundlage für weitere Entscheidungen
- Etabliere ein Digest-System, bei dem eine Person (oder wechselnde Personen) alle Kanäle monitort und regelmäßig eine Zusammenfassung erstellt
- Differenziere klar zwischen Push- und Pull-Kommunikation und reduziere aktives Pushen auf das Minimum
- Implementiere strukturierte Onboarding- und Offboarding-Prozesse, besonders für Funktionsträger
- Nutze partizipative Ansätze und mache die Betroffenen zu Beteiligten – höre auf die Bedürfnisse der Ehrenamtlichen
- Setze auf Quick Wins, um schnell Erfolge zu zeigen und Motivation zu erzeugen
- Nutze das Konzept der 15%-Lösungen: Fange einfach an mit dem, was du ohne große Mandate umsetzen kannst
- Visualisiere den Jahres zyklus mit wiederkehrenden Ereignissen und zugehörigen Wissensdokumenten
- Nutze KI-Unterstützung für Zusammenfassungen, Lückenanalysen und Priorisierung
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