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Das Expert-Debriefing-Interview ist ein komplexer Kommunikationsprozess, der darauf abzielt, implizites Wissen von ausscheidenden Experten zu explizieren und strukturiert zu übertragen. Dabei sind hilfreiche Fragetechniken, die Vermeidung von No-Go’s und der professionelle Umgang mit sensiblen Informationen entscheidend für den Erfolg. Die Metapher des “Trüffelschweins” beschreibt treffend die Rolle des Moderators, der gezielt nach wertvollen Wissensschätzen sucht.

  • Session Titel: Das Interview im Expert Debriefing - Hilfreiche Fragen and No-gos
  • Session Owner: Florian Schmuhl


Hauptthemen des Beitrags:

  1. Grundlagen und Herausforderungen des Expert-Debriefing-Interviews
  2. Das Johari-Fenster als theoretisches Fundament
  3. Interviewmethoden und strukturierte Ansätze
  4. Die Trüffelschwein-Metapher als Moderationsansatz
  5. Umgang mit sensiblen Informationen und Vertrauen
  6. Rolle des Nachfolgers im Interviewprozess
  7. Fragetechniken und praktische Methoden
  8. Bias-Management und Erwartungshaltungen

Grundlagen und Herausforderungen des Expert-Debriefing-Interviews

Das Expert-Debriefing-Interview steht vor der fundamentalen Herausforderung, implizites Wissen zu explizieren - ein Prozess, der “auch an anderer Stelle im Wissensmanagement eine große Herausforderung” darstellt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass sowohl der Experte als auch der Interviewer mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen in den Prozess eintreten.

Ein zentraler Aspekt ist die Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre, die dem Experten “die Sicherheit gibt, sich auf den Prozess einzulassen”. Dies ist besonders wichtig, da Expert-Debriefings oft mit sensiblen Informationen und persönlichen Erfahrungen verbunden sind.

Die Qualität des Interviews hängt maßgeblich davon ab, wie gut es gelingt, eine Balance zwischen strukturierter Vorbereitung und offener Gesprächsführung zu finden. Dabei muss der Interviewer “vorbereitet in die Conversation” gehen, aber gleichzeitig vermeiden, seine “Erwartungen auf den Experten” zu projizieren.

Das Johari-Fenster als theoretisches Fundament

Das Johari-Fenster dient als theoretische Grundlage für das Verständnis der verschiedenen Wissensbereiche im Expert-Debriefing. Es unterscheidet vier Bereiche entlang zweier Achsen: “was mir bekannt ist, mir unbekannt ist, und anderen unbekannt ist und anderen bekannt ist”.

Besonders herausfordernd ist der Bereich “Mein Geheimnis”, wo dem Experten etwas bekannt ist, “was anderen nicht bekannt ist”. Hier liegt die Hauptaufgabe des Interviewers darin, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, damit der Experte bereit ist, dieses Wissen zu teilen.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist das, was dem Experten selbst nicht bewusst bekannt ist, “andere aber wissen, dass er das weiß”. Diese Aspekte können oft “im Vorgespräch oder im Gespräch mit Kollegen geklärt werden”.

Die größte Herausforderung stellt der Bereich des “Unbekannten für beide Seiten” dar, der sowohl für den Experten als auch für den Interviewer neue Erkenntnisse bereithält.

Interviewmethoden und strukturierte Ansätze

Es gibt verschiedene Interviewmethoden, die je nach Kontext und Zielsetzung eingesetzt werden können. Strukturierte Interviews arbeiten “mit einem ganz festen Fragebogen” und bieten den Vorteil “gleichbleibender Qualität”, sind aber hauptsächlich “für wissenschaftliche Untersuchungen relevant”.

Semi-strukturierte Interviews haben sich als besonders geeignet erwiesen, da sie “einmal Hilfestellung geben, aber auch die Möglichkeit haben, gewisse Freiheiten zu geben”. Diese Methoden sind “wissenschaftlich validiert und geben dem Bias des Interviewenden entgegen”, lassen aber durch ihre Teilstrukturierung “auch Freiraum für den Gesprächsprozess”.

Die Critical Incident Technique stellt eine spezielle Methode dar, bei der “geguckt wird, wo in der Historie gab es besonders kritische Situationen und wie wurden die gegebenenfalls gelöst, beziehungsweise woran ist man in dem Zusammenhang gescheitert”.

Vollständig offene Interviews als “offenes Interview” können in bestimmten Kontexten sinnvoll sein, erfordern aber besondere Moderationsfähigkeiten.

Die Trüffelschwein-Metapher als Moderationsansatz

Eine zentrale Metapher für die Rolle des Moderators ist das “Trüffelschwein”, das gezielt nach wertvollen Wissensschätzen sucht. Dabei geht es darum, “sich zu fühlen wie ein Trüffelschwein” und “die Trüffeln des Business-Aspektes, also des relevanten Aspektes” zu finden.

Der Moderator muss ein Gespür dafür entwickeln, “wo lohnt es sich, in die Tiefe zu gehen und wo bricht man eher ab”. Dies erfordert die Fähigkeit zu erkennen, wann oberflächliche Antworten ausreichen und wann tiefere Exploration notwendig ist.

Die Kunst liegt darin, durch gezielte Triggerfragen Bereiche zu identifizieren, die besondere Relevanz haben. Wenn ein Experte beispielsweise spezifische Tools erwähnt, die sonst niemand nutzt, und diese als wichtig einstuft, dann “laufen wir in Richtung Trüffel”.

Ergänzend zur Trüffelschwein-Metapher wurde die Minesweeper-Analogie eingeführt, bei der der Moderator “Schritt für Schritt durch diese Landschaft” geht und durch “Triggerfragen immer so ein Feld aufgeht, wo dann Bomben drin liegen”.

Umgang mit sensiblen Informationen und Vertrauen

Ein kritischer Aspekt des Expert-Debriefings ist der professionelle Umgang mit sensiblen Informationen. Dabei gilt das Prinzip der “absoluten Vertraulichkeit”, wobei die “Zusicherung der Vertraulichkeit der wissensgebenden Person” gilt.

In besonders sensiblen Bereichen wie “Personalthemen oder Betriebsratstätigkeit oder Technical Compliance” kann es notwendig sein, dass der Moderator temporär “aus dem Prozess rausgeht”, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, vertrauliche Aspekte zu besprechen.

Das “Circle of Trust Konzept” definiert klar, wer bei welchen Gesprächen anwesend sein darf. Besonders wichtig ist, dass HR-Vertreter in bestimmten Situationen bewusst ausgeschlossen werden, um die Vertrauensbasis zu erhalten.

Das Konzept “Off the Record” ermöglicht es, wichtige praktische Hinweise zu geben, die nicht dokumentiert werden. Ein Beispiel: “Es steht in der Unternehmensrichtlinie 437, aber wenn du das so machst, wirst du scheitern. So geht es wirklich.”

Rolle des Nachfolgers im Interviewprozess

Die Einbindung des Nachfolgers in den Interviewprozess ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Ein Ansatz sieht vor, zunächst “auf der grünen Wiese die Landkarte aufzubauen” und erst später den Nachfolger einzubeziehen, um eine strukturierte Diskussionsgrundlage zu schaffen.

Der Gegenansatz betont, dass es “für den Nachfolger einen Riesenunterschied macht, ob der eine fertige Wissenslandkarte sieht oder ob er dem Experten beim Aufbauern zuhören kann”. Dabei gehen wichtige Informationen verloren: “Wie er Sachen betont, was für Geschichten er erzählt, was ihm noch einfällt, wie er Sachen priorisiert.”

Als Kompromiss werden Gespräche oft aufgezeichnet, sodass “der komplette Wissenslandkartenprozess nacherleben” kann, um “dieses Konstruktivistische, dieses Wissen entstehen, nachspielen zu können”.

Der Moderator nimmt dabei oft eine Chamäleon-Rolle ein und “versucht dann, den Prozess so ein bisschen zu moderieren, mal mehr, mal weniger”, abhängig davon, ob es sich um eine “introvertierte Person” handelt oder der Nachfolger bereits aktive Fragen stellen kann.

Fragetechniken und praktische Methoden

Erfolgreiche Fragetechniken orientieren sich an verschiedenen Dimensionen. Die zeitliche Dimension fragt nach Stationen: “Was waren die Stationen, also wie weit lohnt es sich zurückzugehen? Was waren wichtige Ereignisse in den Stationen?”

Bei der Aufgabendimension werden verschiedene Zeiträume abgefragt: “Was machst du täglich? Was sind die Aufgaben, die in deiner Jobbeschreibung stehen? Was machst du wöchentlich, monatlich bis jährlich hoch?”

Besonders effektiv sind Fragen nach Erfolg und Misserfolg: “Was mache ich denn da so erfolgreich oder wo sind denn die Fallstricke oder erzähl doch mal eine Geschichte, wo du da jetzt das Bauchgefühl hast in der Situation.”

Hypothetische Fragen können ebenfalls wertvoll sein: “Was wäre, wenn oder was könnte im schlimmsten Fall passieren?” Diese helfen dabei, “diese Trüffel so ein bisschen aufzuspüren”.

Die Kartenmethode mit 120 vorbereiteten Karten hat sich als besonders effektiv erwiesen. Dabei werden Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten auf Karten geschrieben, die dann vom Experten sortiert und kommentiert werden. Das Feedback zeigt: “Hätten wir diese drei Stunden mit der Kartenmethode nicht gemacht, wo die Halbsätze draufstehen, um quasi das nochmal in Storytelling hinzuleiten.”

Bias-Management und Erwartungshaltungen

Der Umgang mit eigenen Vorurteilen und Erwartungshaltungen ist eine zentrale Herausforderung für Interviewer. Die Grunderwartung ist simpel: “Ich gehe in einen Wald als Schwein und suche die Trüffel. Was ist die Erwartungshaltung? Dass da Trüffel sind.”

Problematisch wird es, wenn spezifische Erwartungen über Personen oder Rollen entstehen: “Wenn ich mit Führungskräften arbeite, die, aha, das sind so Managertypen und da ist es unspannend.” Solche Muster können nach einer gewissen Zeit erkannt werden, dürfen aber nicht die Offenheit für neue Erkenntnisse beeinträchtigen.

Ein wichtiger Ansatz ist es, sich “hineinzuversetzen in die Rolle des Wissensgebenden” und dessen “Zielperspektive” zu verstehen: “Wann bist du eigentlich erfolgreich in dem, was du tust?”

Führungskräfte werden bewusst nur in bestimmten Phasen einbezogen (Vorgespräch, Feedback-Runde, Reflexion), da sie “sehr oft dazu tendieren, reinzureden” und ihre eigene Vorstellung einbringen, anstatt die Expertise des ausscheidenden Mitarbeiters zu würdigen.

Fazit und Ausblick

Das Expert-Debriefing-Interview erweist sich als komplexer Kommunikationsprozess, der weit über einfache Wissensdokumentation hinausgeht. Die Metapher des Trüffelschweins verdeutlicht die aktive Suchrolle des Moderators, der gezielt nach wertvollen, oft verborgenen Wissensschätzen sucht.

Zentrale Erfolgsfaktoren sind die Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre, der professionelle Umgang mit sensiblen Informationen und die Anwendung geeigneter Fragetechniken. Semi-strukturierte Interviews haben sich als besonders geeignet erwiesen, da sie Struktur bieten, aber gleichzeitig Raum für spontane Erkenntnisse lassen.

Offene Fragen und zukünftige Entwicklungen:

  • Wie können digitale Tools die Kartenmethode und andere bewährte Techniken unterstützen?
  • Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede bei internationalen Expert-Debriefings?
  • Wie lassen sich die Erkenntnisse auf virtuelle und hybride Arbeitsumgebungen übertragen?

Handlungsempfehlungen aus dem Beitrag:

  • Entwickeln Sie ein “Trüffelschweingespür” für relevante Wissensaspekte und gehen Sie gezielt in die Tiefe, wo es sich lohnt
  • Schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre durch absolute Vertraulichkeitszusicherung gegenüber dem Wissensgebenden
  • Nutzen Sie semi-strukturierte Interviewmethoden, die Struktur bieten, aber Freiraum für spontane Erkenntnisse lassen
  • Experimentieren Sie mit der Kartenmethode als gamifiziertem Ansatz zur Wissensexploration
  • Definieren Sie klare “Circle of Trust”-Regeln und nutzen Sie “Off the Record”-Konzepte für sensible Informationen
  • Reflektieren Sie kontinuierlich Ihre eigenen Bias und Erwartungshaltungen als Interviewer
  • Dokumentieren Sie Gespräche durch Aufzeichnungen, um den konstruktivistischen Wissensentstehungsprozess nachvollziehbar zu machen