WissensTransferCamp 2025/Dokumentation = Frustration

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Version vom 20. September 2025, 10:32 Uhr von Simon.dueckert (Diskussion | Beiträge)
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Die Session behandelte die Herausforderungen bei der Dokumentation in technischen Bereichen am Beispiel der Deutschen Welle. Der Session Owner teilte seine Erfahrungen als neuer Dokumentationskoordinator und diskutierte mit den Teilnehmenden über strukturelle, organisatorische und menschliche Aspekte der Wissensdokumentation. Zentrale Themen waren die Priorisierung von Dokumentationsinhalten, die Überwindung mentaler Hürden bei der Dokumentationserstellung und innovative Ansätze wie Wissenslandkarten und mediale Dokumentation.

Session Owner: Benedikt Metzen

Hauptthemen der Präsentation:

  1. Strukturelle Herausforderungen bei der Dokumentation
  2. Das “What’s in it for me”-Problem bei der Dokumentation
  3. Priorisierung und Aufwand-Nutzen-Verhältnis
  4. Innovative Dokumentationsansätze und Wissenslandkarten
  5. Menschliche Aspekte und Überzeugungsarbeit

Strukturelle Herausforderungen bei der Dokumentation

Benedikt stellte die komplexe Dokumentationslandschaft der Deutschen Welle vor, die aus einem Change-Prozess vor acht Jahren entstanden ist. Das System umfasst etwa zwei Dutzend technische Bereiche, verteilt auf fünf Abteilungen mit jeweils eigenen Dokumentationskoordinatoren. Das Herzstück bilden die sogenannten Systemakten, die im Wiki angelegt sind und verschiedene Ebenen des Supports dokumentieren.

Die größten strukturellen Probleme zeigten sich in mehreren Bereichen:

  • Veraltete und unvollständige Dokumentationen in vielen Bereichen
  • Parallele Dokumentationssysteme wie ADO-IT für Architektur und GitLab für Code
  • Unklare Verantwortlichkeiten durch mangelnde Übergabeprozesse
  • Fehlende Aktualisierung bestehender Inhalte

Ein wesentliches Problem liegt darin, dass sich die Systemlandschaft seit der ursprünglichen Konzeption erheblich verändert hat. Neue Tools und Prozesse werden in separaten Systemen dokumentiert, wodurch das Wiki seinen ursprünglichen Alleinstellungsanspruch verloren hat. Trotzdem soll es weiterhin als zentraler Einstiegspunkt dienen und bei Bedarf zu anderen Dokumentationsquellen weiterleiten.

Die Teilnehmenden diskutierten, dass viele der ursprünglich definierten Dokumentationsanforderungen möglicherweise nicht mehr zeitgemäß sind. Die Herausforderung besteht darin, zwischen notwendiger und überflüssiger Dokumentation zu unterscheiden und dabei sowohl organisatorische Anforderungen als auch praktische Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Das “What’s in it for me”-Problem bei der Dokumentation

Ein zentrales Thema der Diskussion war die mangelnde Motivation der Mitarbeitenden zur Dokumentation. Benedikt beschrieb das klassische Dilemma: Die dokumentierende Person kennt ihr System bereits und sieht keinen unmittelbaren Nutzen in der Dokumentationsarbeit, da sie primär für andere erstellt wird.

Besonders deutlich wurde diese Problematik bei verschiedenen Argumentationsmustern:

  • “Ich weiß doch, wie mein System funktioniert”
  • “Ich weiß ja, wen ich ansprechen kann”
  • “Es ist aufwendiger zu dokumentieren, als sich das Wissen neu anzueignen”

Die Teilnehmenden identifizierten mehrere Ansätze zur Lösung dieses Problems. Ein wichtiger Punkt war die Bewusstmachung des eigenen Wissens. Oft sind sich Expertinnen und Experten nicht bewusst, über welches umfangreiche Wissen sie verfügen. Der Dokumentationsprozess kann daher als Reflexionsinstrument dienen und den Wert des eigenen Expertenwissens verdeutlichen.

Sandy berichtete aus ihrer Praxis, dass Fachkräfte häufig überrascht sind, wenn sie ihre Wissenslandkarte sehen und erkennen, welche Vielfalt an Kompetenzen sie besitzen. Einige drucken sich ihre Wissenslandkarte sogar aus und hängen sie als Anerkennung ihrer Expertise an die Wand.

Ein weiterer Lösungsansatz liegt in der Serviceleistung: In manchen Bereichen übernimmt die moderierende Person die Dokumentation als Teil ihrer Dienstleistung, um die Belastung der Fachkräfte zu reduzieren und gleichzeitig qualitativ hochwertige Dokumentation sicherzustellen.

Priorisierung und Aufwand-Nutzen-Verhältnis

Ein wesentlicher Diskussionspunkt war die Notwendigkeit einer klaren Priorisierung von Dokumentationsinhalten. Christian Graf betonte, dass nicht alle Systemakten gleich prioritär sind und eine differenzierte Betrachtung notwendig ist. Er empfahl eine pragmatische Herangehensweise mit der Unterscheidung zwischen kritischen und weniger wichtigen Dokumentationsinhalten.

Die Diskussion verdeutlichte die Wichtigkeit der Abwägung zwischen expliziter und impliziter Wissensspeicherung:

  • Welche Informationen müssen zwingend dokumentiert werden?
  • Was kann als implizites Wissen bei den Mitarbeitenden verbleiben?
  • Wo ist das Risiko einer fehlenden Dokumentation vertretbar?

Diese Entscheidungen sollten auf einer realistischen Risikoanalyse basieren. Manche Führungskräfte argumentieren durchaus berechtigt, dass der Dokumentationsaufwand in bestimmten Fällen höher ist als der potenzielle Schaden bei fehlendem Wissen.

Metzen plant für den Herbst Workshops mit den Dokumentationskoordinatoren, um gemeinsam Schmerzpunkte zu identifizieren und zu priorisieren. Das Format soll partizipativ gestaltet werden, möglicherweise als Barcamp oder Hackathon, um die Beteiligten aktiv einzubinden und praktische Lösungen zu entwickeln.

Ein wichtiger Ansatz ist die Analyse der Vertretungsregelungen: Wo gibt es Hauptsystembetreuer und Vertretungen? Das Gap zwischen dem Wissen des Hauptverantwortlichen und der Vertretung zeigt oft sehr konkret auf, welche Dokumentation kritisch ist und wo Handlungsbedarf besteht.

Innovative Dokumentationsansätze und Wissenslandkarten

Christian Graf stellte innovative Ansätze zur Dokumentation vor, die über klassische Wiki-Strukturen hinausgehen. Besonders interessant war der Vorschlag, Wissenslandkarten als systematischen Ansatz für die Systemdokumentation zu nutzen.

Die Wissenslandkarte arbeitet mit sechs Kategorien und kann helfen, die transferrelevanten Wissensinhalte systematisch zu identifizieren. Statt der bisherigen systemzentrierten Sicht könnte eine anwenderzentrierte Perspektive gewählt werden, die stärker auf die Bedürfnisse der Nutzenden ausgerichtet ist.

Ein weiterer innovativer Ansatz ist die mediale Dokumentation:

  • Erstellung von Screencasts für technische Systeme
  • Automatisierte Transkription für Durchsuchbarkeit
  • KI-generierte Zusammenfassungen
  • Kommentierungsmöglichkeiten für kontinuierliche Aktualisierung

Graf betonte, dass mediale Dokumentation oft nutzerfreundlicher ist als reine Textdokumentation. Allerdings bestehen bei vielen Fachkräften noch Hemmungen gegenüber Videoaufnahmen. Sein Tipp: Das erste Screencast-Video gemeinsam mit der wissensgebenden Person erstellen, um die mentale Hürde zu überwinden und die Einfachheit des Prozesses zu demonstrieren.

Die Flexibilisierung der Systemakten ist ein weiterer wichtiger Ansatz. Metzen denkt an modulare Strukturen, ähnlich einer Steuererklärung, wo nur relevante Bereiche ausgefüllt werden müssen. Eine intelligente Eingangsmaske könnte durch gezielte Fragen die passenden Module auswählen und so die Überforderung durch umfangreiche, aber irrelevante Dokumentationsvorlagen vermeiden.

Menschliche Aspekte und Überzeugungsarbeit

Die Diskussion machte deutlich, dass Dokumentation primär ein menschliches und kommunikatives Thema ist. Technische Fachkräfte haben oft eine natürliche Distanz zu dokumentarischen Aufgaben, da diese weit von ihrer eigentlichen Tätigkeit entfernt sind.

Metzen berichtete von seinen Erfahrungen mit verschiedenen Kommunikationsformaten:

  • Abschaffung der monatlichen Pflichttermine, die als “Frontalberieselung” empfunden wurden
  • Einführung thematischer Sprechstunden für spezifische Anliegen
  • Direkte Kommunikation über Teams für allgemeine Informationen
  • Geplante Einzelgespräche mit allen Dokumentationskoordinatoren

Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Einbindung der Betroffenen in Lösungsprozesse. Statt von oben verordnete Strukturen durchzusetzen, sollen die Fachkräfte ihre Schmerzpunkte selbst identifizieren und gemeinsam Lösungsansätze entwickeln. Dieser partizipative Ansatz erhöht die Akzeptanz und das Engagement für die Dokumentationsarbeit.

Die Herausforderung liegt darin, allen 24 Bereichen gerecht zu werden, ohne disziplinarische Weisungsbefugnis zu haben. Erfolg basiert auf Überzeugungsarbeit, Argumentation und dem Eingehen auf die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Teams.

Sandy betonte die Wichtigkeit, kleine Beispielanlässe zu schaffen, um den Nutzen guter Dokumentation praktisch zu demonstrieren. Wenn Fachkräfte einmal erlebt haben, wie hilfreich eine gut strukturierte Wissenslandkarte oder ein professionelles Screencast sein kann, steigt die Bereitschaft zur Mitarbeit erheblich.

Fazit und Ausblick

Die Session verdeutlichte, dass erfolgreiche Dokumentation in technischen Bereichen eine ausgewogene Mischung aus strukturellen Verbesserungen, innovativen Methoden und intensiver Kommunikationsarbeit erfordert. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich in drei Bereichen zusammenfassen:

Strukturelle Optimierung: Bestehende Dokumentationssysteme müssen regelmäßig auf ihre Aktualität und Relevanz überprüft werden. Eine klare Priorisierung nach Risiko- und Nutzenaspekten ist unerlässlich. Modulare, flexible Strukturen können die Akzeptanz erhöhen und Überforderung vermeiden.

Methodische Innovation: Wissenslandkarten, mediale Dokumentation und partizipative Workshops bieten neue Wege, um Dokumentation attraktiver und effektiver zu gestalten. Der Schlüssel liegt darin, die mentalen Hürden durch praktisches Ausprobieren zu überwinden.

Menschlicher Faktor: Dokumentation ist primär ein Kommunikations- und Überzeugungsthema. Erfolg entsteht durch Einbindung der Betroffenen, Verständnis für ihre Perspektiven und die Demonstration konkreter Nutzen.

Offene Fragen für die weitere Entwicklung:

  • Wie kann die Balance zwischen organisatorischen Anforderungen und praktischen Bedürfnissen optimal gestaltet werden?
  • Welche Rolle können KI-Tools bei der Automatisierung von Dokumentationsprozessen spielen?
  • Wie lassen sich generationsbedingte Unterschiede im Umgang mit medialer Dokumentation überbrücken?

Handlungsempfehlungen aus der Session:

  • Führung von Einzelgesprächen mit allen Dokumentationskoordinatoren zur Bedarfsanalyse
  • Durchführung partizipativer Workshops zur gemeinsamen Problemlösung
  • Pilotprojekte mit Wissenslandkarten und medialer Dokumentation
  • Entwicklung modularer, flexibler Dokumentationsstrukturen
  • Regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Dokumentationsstrategie basierend auf praktischen Erfahrungen

Die Session zeigte, dass Dokumentation dann erfolgreich ist, wenn sie als lebendiger, partizipativer Prozess verstanden wird, der sich kontinuierlich an die Bedürfnisse der Organisation und ihrer Mitarbeitenden anpasst.