WissensTransferCamp 2025/Digitalisierung im Expert Debriefing
Diese Session behandelte die Digitalisierung von Expert Debriefings und diskutierte verschiedene Ansätze zur Skalierung von Wissenstransfer-Prozessen in Unternehmen. Die Teilnehmer tauschten sich über Tools, Methoden und Herausforderungen aus, insbesondere vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen und größerer Personalabgänge. Zentrale Themen waren die Balance zwischen digitalen und Präsenz-Formaten, selbstgesteuertes Debriefing sowie die Frage nach spezialisierten Tools versus vorhandene Standard-Software.
Session Owner: Lothar Maier
Hauptthemen der Präsentation:
- Ausgangssituation und Herausforderungen bei der Skalierung von Expert Debriefings
- Digitale versus Präsenz-Formate im Wissenstransfer
- Selbstgesteuertes Debriefing und Unterstützungsmodelle
- Tool-Landschaft und technische Umsetzung
- Struktureller Wissenstransfer und präventive Ansätze
Ausgangssituation und Herausforderungen bei der Skalierung von Expert Debriefings
Die Diskussion startete mit der konkreten Problemstellung bei Bosch: In den nächsten vier bis fünf Jahren müssen etwa 20.000 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, zusätzlich zu den demografisch bedingten Abgängen der Babyboomer-Generation. Dem stehen nur drei zentrale Moderatoren für Expert Debriefings gegenüber, ergänzt durch etwa 100 dezentrale Moderatoren bei über 400.000 Mitarbeitern.
Diese Ressourcenknappheit führt zu zwei zentralen Szenarien für die Digitalisierung:
- Digitale Hilfsmittel für Moderatoren zur parallelen Betreuung mehrerer Expert Debriefings
- Selbstdebriefing-Tools, die Experten bei der Vorbereitung unterstützen und Moderatoren entlasten
Die Herausforderung besteht darin, qualitativ hochwertigen Wissenstransfer auch bei stark steigenden Fallzahlen zu gewährleisten. Dabei müssen verschiedene Zielgruppen berücksichtigt werden - von technikaffinen Mitarbeitern bis hin zu traditionell arbeitenden Fachkräften in kritischen Infrastrukturen.
Digitale versus Präsenz-Formate im Wissenstransfer
Die Teilnehmer berichteten von einem deutlichen Wandel hin zu digitalen Formaten. Etwa 80 Prozent der Wissenstransfer-Prozesse werden mittlerweile online durchgeführt, wobei hybride Ansätze häufig zum Einsatz kommen.
Vorteile digitaler Formate:
- Automatische Aufzeichnung und Transkription von Gesprächen
- Einfache Integration von Collaboration-Tools
- Kostenersparnis bei Reisezeiten und -kosten
- Bessere Skalierbarkeit bei verteilten Teams
- Weniger Hemmschwellen bei der Aufzeichnung im Vergleich zu physischen Kameras
Wann Präsenz bevorzugt wird:
- Bei Zielgruppen mit geringer Technikaffinität (z.B. Wasserkraftwerk-Mitarbeiter)
- Als Wertschätzung bei Personalabbau-Situationen
- Bei haptischen Wissensinhalten, die angefasst oder ausprobiert werden müssen
- Für den initialen Beziehungsaufbau (“Beschnuppern”)
Ein wichtiger Aspekt ist die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Digitale Formate ermöglichen es Wissensgebern, ins Erzählen zu kommen und dabei auch implizites Wissen zu teilen, das bei schriftlicher Dokumentation oft verloren geht. Die KI-gestützte Transkription und Aufbereitung macht diese Vorteile nutzbar.
Selbstgesteuertes Debriefing und Unterstützungsmodelle
Für die Skalierung wurden verschiedene Ansätze zur Selbststeuerung diskutiert. Reine Selbstbedienung mit Checklisten zeigt deutlich schlechtere Ergebnisse als begleitete Prozesse. Daher wurden mehrere Unterstützungsmodelle entwickelt:
Tandem-Ansatz: Ein interner Partner (oft Trainee oder neuer Mitarbeiter) führt den Dialog mit dem Wissensträger. Dies verhindert die interne Abkürzung von Reflexionsprozessen und schafft gleichzeitig Lerneffekte für den Fragenden.
Angeleiteter Wissenstransfer: Gemeinsame Erstellung der ersten Wissenslandkarte mit anschließender selbstständiger Weiterarbeit. Dies gibt Sicherheit und reduziert gleichzeitig den Moderationsaufwand.
Qualifizierte Transferbegleiter: Ausbildung von Azubis oder anderen Mitarbeitern zu Transferbegleitern, die strukturierte Unterstützung ohne intensive Moderation bieten können.
Abgestuftes Verfahren: Je nach Kritikalität des Wissens werden unterschiedliche Intensitätsstufen angewendet - von reiner Selbstdokumentation bis hin zu vollständig moderierten Prozessen für “rote” Wissensbereiche.
Tool-Landschaft und technische Umsetzung
Die aktuell genutzten digitalen Tools umfassen hauptsächlich Standard-Software aus dem Microsoft 365-Umfeld:
- Microsoft Forms für automatisierte Auftragsanfragen
- Mindmapping-Tools (Freeplane, Mindmanager)
- Office 365-Suite (Word, Excel, PowerPoint, OneNote)
- Teams für hybride Sessions und Aufzeichnungen
- SharePoint für Dokumentenablage
- Camtasia/ClipJam für Screencasts
Herausforderungen bei spezialisierten Tools:
- Hohe Hürden für Freigabe und Lizenzierung
- Datenschutz-Restriktionen, besonders in kritischen Infrastrukturen
- Einarbeitungsaufwand für neue Software
- Nachhaltigkeit der Nutzung nach Prozessende
Argumente für Standard-Tools:
- Bereits vorhandene Freigaben und Datenschutz-Compliance
- Vertrautheit der Nutzer mit der Software
- Keine zusätzlichen Lizenzkosten
- Einfachere organisatorische Umsetzung
Die Entscheidung zwischen spezialisierten und Standard-Tools sollte von der Anzahl der Nutzer abhängen: Bei wenigen professionellen Moderatoren können spezialisierte Tools sinnvoll sein, bei breiter Anwendung sind Standard-Tools oft praktischer.
Struktureller Wissenstransfer und präventive Ansätze
Die Diskussion erweiterte sich vom reaktiven Wissenstransfer (wenn jemand geht) hin zu proaktiven Ansätzen des organisationalen Wissensmanagements:
Kontinuierliche Wissenslandkarten: Bereits im Onboarding werden Wissenslandkarten erstellt, die kontinuierlich gepflegt werden. Dies ermöglicht es, vorhandenes Wissen neuer Mitarbeiter zu identifizieren und zu nutzen.
Integration in Change-Prozesse: Wissenstransfer-Elemente werden in Transformationsprojekte und Teamentwicklungsmaßnahmen integriert, um Kernkompetenzen und Schnittstellen zu strukturieren.
Open-by-Default-Ansatz: Kultureller Wandel hin zur standardmäßigen Dokumentation und Teilung von Projekterfahrungen und Vorlagen in offenen Systemen.
Qualitätssicherung bestehender Prozesse: Expert Debriefing als Add-on zu regulären Übergabeprozessen, um Vollständigkeit zu gewährleisten und Führungskräften Sicherheit zu geben.
Bei Bosch ist Expert Debriefing oft ein “Feuerwehrprozess”, der auf bereits laufende Wissensmanagement-Aktivitäten aufsetzt. Trotz vorhandener Dokumentation und Prozesse entstehen durch die strukturierte Reflexion regelmäßig zusätzliche Erkenntnisse und ein besseres Verständnis beim Wissensnehmer.
Fazit und Ausblick
Die Digitalisierung von Expert Debriefings ist nicht nur möglich, sondern angesichts demografischer Herausforderungen und steigender Fallzahlen unumgänglich. Erfolgreiche Ansätze kombinieren digitale Effizienz mit menschlicher Begleitung und berücksichtigen die spezifischen Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen.
Zentrale Erkenntnisse:
- Hybride Ansätze funktionieren bei den meisten Zielgruppen gut
- Selbstgesteuertes Debriefing benötigt strukturierte Unterstützung
- Standard-Tools sind oft praktischer als spezialisierte Lösungen
- Wissenstransfer sollte vom reaktiven zum proaktiven Ansatz entwickelt werden
- Die Prozessgestaltung ist wichtiger als die Tool-Auswahl
Handlungsempfehlungen:
- Entwicklung abgestufter Verfahren je nach Kritikalität des Wissens
- Aufbau interner Transferbegleiter-Kapazitäten
- Integration von Wissenstransfer in den gesamten Employee Lifecycle
- Nutzung von KI für Transkription und Dokumentationsunterstützung
- Fokus auf Prozess-Know-how statt auf Tool-Perfektion
Die Session zeigte, dass die Digitalisierung von Expert Debriefings bereits erfolgreich praktiziert wird, aber noch erhebliches Potenzial für Skalierung und Systematisierung besteht. Der Austausch verschiedener Ansätze und Erfahrungen bietet wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung der eigenen Praxis.