WissensTransferCamp 2024/wtc24-1-4-hechler

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Version vom 7. August 2025, 22:04 Uhr von Simon.dueckert (Diskussion | Beiträge)
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Continental hat über zwei Anläufe ein erfolgreiches Netzwerk von 170 Facilitators für Expert Debriefings aufgebaut. Der Schlüssel zum Erfolg lag im Wechsel von der Top-Down-Verordnung zur freiwilligen Teilnahme und der Kombination aus virtuellen und physischen Elementen. Besonders der erste persönliche Termin zwischen Moderator und ausscheidendem Experten erwies sich als vertrauensbildend und wertvoll für den gesamten Prozess.

  • Session Titel: Expert Debriefing @ Continental – Damit das Wissen nicht in Rente geht
  • Session Owner: Christoph Hechler


Lessons Learned aus dem ersten gescheiterten Ansatz

Der erste Versuch bei Continental, ein Expert Debriefing Netzwerk aufzubauen, scheiterte aufgrund eines fundamentalen Fehlers in der Herangehensweise. Als zentrale Qualitätsabteilung wurden alle 250.000 Mitarbeiter weltweit angeschrieben mit der Vorgabe, dass jeder Bereich einen Facilitator benennen müsse.

Das Ergebnis war vorhersehbar: “90% von denen, die dort benannt wurden, sind dazu wie die Jungfrau zum Kind gekommen, hatten eh schon 20 verschiedene Jobs und dann haben sie das auch noch aufgedrückt bekommen.” Die Facilitators wurden “per Order dem Ufti benannt” - ein klassischer Top-Down-Ansatz, der zu mangelnder Motivation und Engagement führte.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem ersten Anlauf:

  • Top-Down-Verordnungen funktionieren nicht bei Wissensmanagement-Initiativen
  • Überlastete Mitarbeiter können keine qualitativ hochwertigen Debriefings durchführen
  • Fehlende intrinsische Motivation führt zum Scheitern der Initiative
  • Die organisatorische Verankerung allein reicht nicht aus

Erfolgreicher zweiter Anlauf mit Fokus auf Freiwilligkeit

Aus den Fehlern des ersten Ansatzes lernend, setzte Continental beim zweiten Anlauf konsequent auf Freiwilligkeit und Marketing statt auf Verordnung. “Wir haben eigentlich, nachdem wir diese Ausbildung zu den Living Expert Debriefing Facilitator bei Simon genossen hatten, angefangen Promotion zu machen, Marketing.”

Die neue Strategie umfasste:

  • Open Calls zur Bewerbung der Initiative
  • Präsentationen in HR-Abteilungen und bestehenden Meetings
  • Aufzeigen der Grundanforderungen als Soft Facts (kommunikativ, Moderationsgeschick)
  • Keine harten Kriterien wie Mindestbetriebszugehörigkeit
  • Betonung des “Freedom to Act” Prinzips von Continental

Diese Herangehensweise führte zu einer deutlich heterogeneren und motivierteren Teilnehmerschaft: “Das ist unwahrscheinlich gemischt. Da kommen Leute von der IT, von der Logistik, aus der Entwicklung.” Die Vielfalt der Teilnehmer spiegelt das breite Interesse und die Notwendigkeit für Wissenstransfer in verschiedenen Bereichen wider.

Hybride Durchführung: Kombination aus virtuellen und physischen Elementen

Corona zwang Continental dazu, die Trainings und Debriefings virtuell durchzuführen, was überraschend gut funktionierte. Aus den Erfahrungen entwickelte sich jedoch eine durchdachte hybride Strategie, die die Vorteile beider Welten kombiniert.

Physische Elemente - besonders wichtig:

  • Der erste Termin zwischen Moderator und ausscheidendem Experten sollte unbedingt physisch stattfinden
  • “Das ist so eine vertrauensbildende Umgebung, wo man am Anfang auch mal anfängt, wo man Gemeinsamkeiten entdeckt, vielleicht auch ein bisschen was aus dem Privaten, um einfach das so als Icebreaker zu nehmen”
  • Physische Meetings haben “einen ganz anderen Charakter, als wenn du dir jetzt bloß bei der Kamera gegenüber sitzt”

Virtuelle Elemente - praktisch und effizient:

  • Kick-Off-Gespräche mit Vorgesetzten
  • Verfeinerung der Jobmap
  • Abarbeitung von Aktionsplänen
  • Regelmäßige Netzwerk-Calls (zweimonatlich)

Die Trainings funktionieren virtuell sehr gut, “wenn man mit Kamera arbeitet” und die Gruppengröße begrenzt bleibt.

Aufbau und Pflege des Facilitator-Netzwerks

Das Netzwerk umfasst mittlerweile etwa 170 Personen und wird durch verschiedene Maßnahmen gepflegt und weiterentwickelt:

Struktur und Organisation:

  • Teams-Community als zentrale Plattform
  • Zweimonatliche Calls zum Austausch
  • Kontinuierliche Schulungen (von 1,5 Tagen auf einen Tag virtuell verkürzt)
  • Hohe Flexibilität bei der Anwendung der Methoden

Herausforderungen:

  • Hohe Fluktuation bei Continental zerstört regelmäßig Teile des Netzwerks
  • Notwendigkeit kontinuierlicher Nachschulung
  • Nur etwa 20-30% der Netzwerkmitglieder sind wirklich aktiv
  • Von 170 Personen übernehmen etwa 30-40 regelmäßig Fälle (mindestens 3-4 pro Jahr)

Erfolgsfaktoren:

  • Bewusst kein Tracking oder Überwachung: “Wir wollen euch nicht überwachen, wir sind nicht die Polizei”
  • “Freedom to Act” - Facilitators können Methoden an ihre Bereiche anpassen
  • Übergang von zentraler Steuerung zu dezentraler Verantwortung in den operativen Bereichen

Praktische Erfahrungen aus über 40 durchgeführten Debriefings

Sebastian berichtete aus seiner Erfahrung mit über 40 selbst durchgeführten Debriefings und entwickelte dabei wichtige Erkenntnisse für die Praxis:

Tandem-Ansatz für Einsteiger:

  • Neue Facilitators werden durch erfahrene Moderatoren begleitet
  • “Ich gehe jetzt bei dem einen Gespräch und bei dem anderen Gespräch oder bei dem Erstellen der Jobmap mal gerne mit dazu”
  • Coaching und Anleitung in der Praxis, besonders in konfliktgeladenen Situationen

Technische Aspekte:

  • Verwendung von X-Mind für die Jobmap-Erstellung
  • Bei virtuellen Terminen ist es hilfreich, zu zweit zu sein: einer moderiert, einer dokumentiert
  • Verschiedene Dokumentationsformen: Podcasts, Videos, Präsentationen
  • Storytelling als wichtiges Element

Individualität der Fälle:

  • “Jeder Fall ist anders. Da gibt es keinen Fall, der wirklich sich irgendwie geähnelt hat”
  • Facilitators haben sich die Methoden selbst optimiert und angepasst
  • Verwendung unterschiedlicher Tools und Dokumentationsformen je nach Bereich und Person

Wichtige Grundhaltung:

  • “Du musst einfach anfangen. Du musst es einfach machen”
  • Learning by Doing als zentrales Prinzip
  • Vertrauen auf beiden Seiten als Schlüssel zum Erfolg

Fazit und Ausblick

Continental hat erfolgreich demonstriert, wie ein Expert Debriefing Netzwerk auch in einem großen, internationalen Konzern aufgebaut und betrieben werden kann. Der Erfolg basiert auf mehreren Schlüsselfaktoren: dem Lernen aus Fehlern, der konsequenten Ausrichtung auf Freiwilligkeit, der intelligenten Kombination virtueller und physischer Elemente sowie der Flexibilität bei der Methodenausgestaltung.

Zentrale Erfolgsfaktoren:

  • Freiwilligkeit statt Verordnung
  • Vertrauensbildung durch persönliche erste Termine
  • Kontinuierliche Netzwerkpflege und Weiterbildung
  • Flexibilität und “Freedom to Act” für die Facilitators
  • Learning by Doing als Grundprinzip

Offene Herausforderungen:

  • Umgang mit hoher Fluktuation und deren Auswirkungen auf das Netzwerk
  • Balance zwischen Qualitätssicherung und Flexibilität
  • Aktivierung passiver Netzwerkmitglieder
  • Übergang von zentraler zu dezentraler Steuerung

Handlungsempfehlungen:

  • Der erste Termin zwischen Moderator und ausscheidendem Experten sollte unbedingt physisch stattfinden
  • Neue Facilitators sollten durch Tandem-Partnerschaften unterstützt werden
  • Kontinuierliche Netzwerkpflege durch regelmäßige Calls und Weiterbildungen ist essentiell
  • Flexibilität bei der Methodenausgestaltung fördert Akzeptanz und Erfolg
  • “Einfach anfangen und machen” - praktische Erfahrung ist der beste Lehrmeister

Die Erfahrungen von Continental zeigen, dass Expert Debriefing auch in komplexen Organisationsstrukturen erfolgreich implementiert werden kann, wenn die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen und die Lessons Learned aus ersten Versuchen konsequent umgesetzt werden.